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CHF 5.20 — Released 2 April 2013
Grenzenloser Narzissmus
Früher kannten sich Hexen und Zauberer mit der Magie der Namen aus – heute sind es die Statistiker. Von Reto U. Schneider
Dass Menschen eitle Wesen sind, ist keine Neuigkeit, doch die Form des Narzissmus, auf die ein Wissenschafter 1984 stiess, war trotzdem unerwartet: Ohne sich dessen bewusst zu sein, finden Menschen die Buchstaben ihres Namens attraktiver als andere Buchstaben. Das gilt für Vor- und Nachnamen und besonders für Initialen.
Seither streiten die Forscher über die Folgen dieses sogenannten Name-Letter-Effects. Als die Statistiker Bevölkerungsregister auswerteten und durch Telefonbücher pflügten, trauten sie ihren Augen nicht: Die Liebe zum eigenen Namen schien nämlich wichtige Ecksteine einer Existenz wie Wohnort oder Beruf zu beeinflussen. Mildred wohnte eher in Milwaukee, Dave wurde eher Dachdecker, und Miroslav arbeitete eher bei Microsoft.
Wohlverstanden, die Effekte sind klein, und Kritiker sind überzeugt, dass es sich um statistische Fehler handle. Der erste Artikel über das Phänomen trug den Titel «Why Susie Sells Seashells by the Seashore», worauf ein zweifelnder Forscher mit der Arbeit antwortete: «I Sell Seashells by the Seashore and My Name Is Jack». Dass die Behauptungen in letzter Zeit immer phantastischer wurden, hat ihre Glaubwürdigkeit nicht erhöht. Ein Forscher behauptet gar, wir seien so verliebt in unsere Namen, dass Doris und Dario schlechte Noten (in den USA ein D) geradezu anstrebten. Und das ist noch das kleinste Problem der beiden. Kürzlich kam eine Studie zum Schluss, dass Sportler, Ärzte und Anwälte, deren Namen mit D beginnen, früher sterben als andere. Sterben heisst auf englisch «to die». Dieses Resultat ist zwar umstritten, zeigt aber, dass die Magie der Namen heute eher von Statistikern als von Hexen entschlüsselt wird.
Die Illustrationen im Schwerpunkt dieser Ausgabe stammen von David Atkinson (England). Datenbeschaffung: Kathrin Freire und Dominik Ullmann vom BA für Statistik, Peter Moser vom Stat. Amt des Kt. Zürich. Recherchen: Marika Bent.
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