Reportagen - Weltgeschehen im Kleinformat
CHF 20.00
Spätestens seit ich bäuchlings im Uferschlamm liege, ist mir klar, dass ich ziemlich tief in der Scheisse stecke. Der Kerl links neben mir entsichert seine Kalaschnikow, der Typ an meiner rechten Seite steckt seinen Zeigefinger in den Abzugsring einer Handgranate. Meine Kleidung saugt sich voll mit kaltem Wasser. «Psst», macht der Anführer der syrischen Rebellengruppe, legt seinen Finger an die Lippen. «Was ist los?», flüstere ich. Mich rechtzeitig zu informieren, ist nicht unbedingt die Stärke meiner Begleiter. Meistens erfahre ich Dinge erst, nachdem sie geschehen sind. VON CARSTEN STORMER
José Macedo kam in Angola zur Welt, als es noch Teil Portugals war, vierzehnmal so gross wie das Mutterland. Wegen des Kolonialkriegs zog die Familie nach Europa zurück, eine Vorhut der 850 000 Portugiesen, die später aus den Kolonien heimkehrten, der grösste Exodus der zweiten Jahrhunderthälfte. Die meisten kamen im Flugzeug zurück, viele segelten in selbstgemachten Schiffen nach Hause, prekärer als die Seefahrer ein halbes Jahrtausend zuvor. 1974 wohnte José in Lissabon und druckte Pamphlete, er sollte sich nie wieder so lebendig fühlen. VON FLORIAN LEU
Mit einem Jahr entwickle ich einen Schatten auf der Lunge. Oder mit einem halben. Vielleicht auch mit achtzehn Monaten. Die Mutter kann sich vor lauter Schuldgefühl nicht mehr erinnern, weiss nur noch, dass ich dort sprechen lerne, dass ich sie mit Schwester anrede, als ich ein halbes Jahr später vom Kinderspital nach Hause komm. Die Tuberkulose, die bei mir bloss eine Andeutung ist, hat der Vater aus dem Krieg mitgebracht. Schuld sind die Amis, die ihm Grassuppe gegeben haben statt Essen. VON KLAUS KNOLL
Eine Legende sagt, der erste Dichter Europas, der grosse Homer, sei aus Verzweiflung darüber gestorben, dass er ein von Fischerjungen gestelltes Rätsel nicht hatte lösen können: «Was wir gesehen und gefangen haben, das lassen wir da; was wir aber nicht gesehen und nicht gefangen haben, das nehmen wir mit.» VON VEA KAISER
Marc Morano sät den Zweifel per Tastendruck. Er sitzt im Fond einer schwarzen Lincoln-Town-Car-Limousine und bedient seine wichtigste Waffe, den Laptop. Draussen fliegt der Herbstwald vorbei, Morano lädt eine neue Schlagzeile auf seine Website: «Die amerikanische Umweltbehörde wird beschuldigt, Menschenversuche durchzuführen». Der Wagen hat Morano vor einer halben Stunde vor seinem grossen Haus in einem Vorort der amerikanischen Hauptstadt Washington abgeholt, jetzt gleitet er zum Fernsehstudio des Nachrichtensenders Fox News. Dort hat Marc Morano seinen nächsten Einsatz. VON KERSTIN KLINGENBERG UND ANITA BLASBERG
Es sollte Workuta sein und Nacht, doch wir landen bei Tag, im Sonnenschein. Folglich muss es ein anderer Flughafen sein. Welcher? Ich rutsche unruhig im Sessel hin und her, doch ich sehe bald, dass nur ich unruhig bin, die anderen zucken mit keiner Wimper. Ich habe in diesem Land vielleicht hunderttausend Kilometer mit dem Flugzeug zurückgelegt. Zwei Beobachtungen von diesen Reisen: Die Flüge sind immer ausgebucht – auf jedem Flughafen warten auf jeden Flug Scharen von Menschen, oft wochenlang, es ist also völlig undenkbar, dass irgendwann ein Sitz frei bleibt. VON RYSZARD KAPUSCINSKI
Auch Mönche und Nonnen liebten einst den Wintersport. So zumindest der naheliegende Schluss, angesichts des 250-jährigen Rennschlittens aus dem Kloster Fischingen, der damals zum Einsatz kam. Urs Mannhart auf den Spuren thurgauischer Schlittenrennen. VON URS MANNHART
Im April 2012 berichtet unsere Autorin Milena Moser von den Arbeitsbedingungen der Putzfrauen in Singapur. Sie kontrastiert in ihrer Reportage das Leben der vielen, meist westlichen Expat-Frauen mit jenem der südostasiatischen Arbeiterinnen wie der Filipina Felicia VON MILENA MOSER
Reportagen: Herr Domoslawski, Ihre Biografie über Ryszard Kapuściński erscheint dieser Tage auf Deutsch. Das Buch wurde in Ihrer Heimat Polen unterschiedlich aufgenommen. Sie zeigen auf, dass es Kapuściński mit den Eckdaten seiner Biografie nicht immer ganz genau nahm. Haben Sie den Mythos Ryszard Kapuściński entzaubert? VON CLAUDE FANKHAUSER
Name: Malainin Lakhal Alter: 42 Zeitung: «Liberté Algérie» Land: Westsahara Pressefreiheit(*): Platz 163 von 179 Grösster Erfolg: VON RAFFAELA ANGSTMANN
Das Auto preschte mit Vollgas durch die Stadt. Es setzte mich vor einer weissen Residenz ab, mit breiter Vorfahrt, Palmen und weissgekleideten Bodyguards mit Maschinenpistolen. Zwei Männer führten mich in den Diwan. Es duftete nach Weihrauch und arabischem Kaffee, und tief in den schweren Sofas sass Seine Hoheit, Sheik Nahyan bin Mubarak al-Nahyan, Chef der Abu Dhabi Group, einer grossen Investmentgesellschaft, Erziehungs- und Bildungsminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Mitglied der Königlichen Familie und Multimilliardär. Der Scheich warf mir einen prüfenden Blick zu. VON RETO BRENNWALD
An unserem 1. Reportagen-Workshop, welchen wir zusammen mit der Zürcher Hochschule der Künste und der Schriftstellerin Ruth Schweikert durchführten, erhielten die Teilnehmenden die Aufgabe, eine zuvor recherchierte Begebenheit auf nur einer Seite zu schildern. VON DAVID KORSTEN
Sign up or Log in to join the discussion.